Interview mit Adrian Wymann (DE)

Interview with Adrian Wymann DE

Interview mit Adrian Wymann zur Terminologiearbeit in der Schweiz

Adrian WymannAdrian Wymann (geboren 1964) studierte Allgemeine Sprachwissenschaft, Soziologie und Koreanistik an den Universitäten Bern und Zürich und schrieb seine Doktorarbeit zum Thema „The Expression of Modality in Korean“ (1996). Nach einigen Jahren als Assistent in verschiedenen Projekten der Universität Bern (unter anderem Textoptimierung in der öffentlichen Verwaltung sowie die Auswertung der Fragen zur Sprache in der Schweizer Volkszählung von 1990) und als wissenschaftlicher Mitarbeiter in verschiedenen Bundesämtern, wurde er 2005 stellvertretender Leiter der Sektion Arbeitskräfte und Einwanderung im Bundesamt für Migration. Später war er Leiter der Abteilung Arbeit und Integration im selben Bundesamt, bis er 2011 zur Bundeskanzlei wechselte. Seither hat er dort die Funktion des Leiters der Sektion Terminologie inne. Er hat entscheidend zur Entwicklung der Schweizer Terminologiedatenbank TERMDAT beigetragen.

Von 2013 bis 2014 war er zudem Präsident der Konferenz der Übersetzungsdienste europäischer Staaten (KÜDES) und trug dazu bei die Kooperation und die Netzwerke zwischen Übersetzern und Terminologen in ganz Europa zu fördern.

Als Sprachwissenschaftler gibt es für Sie viele Arbeitsfelder: Wieso sind Sie genau in der Terminologie gelandet und was fasziniert sie an Ihrer Arbeit?

Ich bin auf Umwegen zur Terminologie gelangt; zuvor war ich fast fünfzehn Jahre im Migrationsbereich tätig – wohin ich als Linguist eigentlich auch nur auf Umwegen gelangt bin. Letztlich war die Übernahme der Leitung der Sektion Terminologie der Schweizer Bundeskanzlei für mich dann ein „back to the roots“.

An meiner konkreten Arbeit fasziniert mich die Vielfältigkeit. Einerseits steht die Terminologie in der Schweizer Bundesverwaltung in ganz zentraler Weise im Dienst der offiziellen Mehrsprachigkeit, weshalb wir fünf Arbeitssprachen haben (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch und Englisch) die in meinem Team auch gesprochen werden – für Sprachbegeisterte ein Arbeitsumfeld nach Maß. Andererseits arbeiten wir grundsätzlich in allen Themenbereichen einer modernen Verwaltung, so dass die inhaltliche Diversität beinahe unbegrenzt ist: von Drohnen über Mehrwertsteuer, Hochwasserschutz und Forschungsinnovation bis hin zu Sozialversicherungen, E-Voting und Sport – und alles was dazwischenliegt dazu. Dies bedeutet auch, dass wir regen Kontakt mit Experten haben, was die Arbeit nochmals interessanter macht. Und letztlich berührt die Arbeit oftmals ganz unterschiedliche aber klassische sprachwissenschaftliche Fragestellungen, wenn es z.B. um Neologismen geht.

Was macht die Sektion Terminologie der Bundeskanzlei genau und was sind Ihre Aufgaben als deren Leiter? Inwiefern haben sich Ihre Aufgaben in den letzten Jahren verändert?

Die Aufgaben der Sektion Terminologie der Bundeskanzlei sind in Artikel 15 der „Verordnung vom 14. November 2012 über die Sprachdienste der Bundesverwaltung“ zwar sehr knapp, aber damit auch sehr präzise festgehalten: sie organisiert und koordiniert die Terminologiearbeit der Bundesverwaltung, betreibt die zentrale Terminologiedatenbank TERMDAT und führt ihre Terminologieprojekte in Zusammenarbeit mit den Departementen (sprich: Ministerien) durch.

Als Leiter ist es vorab meine Aufgabe, die notwendigen Rahmenbedingungen für ein qualitativ hochstehendes Dienstleistungsangebot sicherzustellen und den aktiven Austausch zwischen den Sprach- und Fachdiensten der Ämter zu suchen und zu fördern. Letztlich geht es auch immer wieder darum, Entscheidungsträgern die Bedeutung und Wichtigkeit systematischer Terminologiearbeit bewusst zu machen. Die Aufgaben nehmen dadurch – bei eher sinkenden Ressourcen – natürlich zu, und der einzige Weg, dies halbwegs bewältigen zu können, führt über den Einsatz von IT-Tools. Wir verfolgen die diesbezüglichen Entwicklungen sehr genau, und hier liegt auch die größte Veränderung in unserer Arbeitsweise.

Was ist speziell an der Terminologiearbeit in der Schweiz? Gibt es spezifische Hindernisse oder Vorteile? Haben sich diese über die Jahre verändert?

Die Mehrsprachigkeit definiert und prägt die Schweiz und ist bereichernd und identitätsstiftend – aber sie ist nicht „einfach so“ oder gar umsonst zu haben. Mehrsprachige Fachkommunikation, wie sie in der Bundesverwaltung sowohl geführt als auch generiert wird, benötigt zwingend die kongruente mehrsprachige Terminologie als Grundlage. Insofern verstehen wir unsere stets vier- oder fünfsprachige Arbeit als wichtigen Beitrag zur amtlichen wie auch zur individuellen Mehrsprachigkeit. Kein Hindernis, aber sicherlich eine zusätzliche Herausforderung ist die dezentrale Verwaltungsstruktur der föderalistischen Schweiz, weshalb wir auch eng mit den vier mehrsprachigen Kantonen Bern, Fribourg, Wallis und Graubünden zusammenarbeiten. Dieser stete Austausch auf verschiedenen Ebenen ist wiederum ein Vorteil, weil dadurch immer wieder auch der Bedarf für punktuelle Terminologie (z.B. im Zusammenhang mit einer aktuellen Volksabstimmung) sichtbar wird. Letztlich braucht es einfach eine entsprechende Koordination der Terminologiearbeit und einen schnellen Zugang zu den relevanten Informationen – beides versuchen wir täglich sicherzustellen. Die größte Veränderung ist dabei sicherlich das Tempo, mit dem terminologische Bedürfnisse auftauchen und sich auch wieder verändern.

Stichwort TERMDAT: Welche Bedeutung kommt der schweizerischen Terminologiedatenbank TERMDAT national und international zu und wer benutzt sie?

TERMDAT, die Terminologie-Datenbank der schweizerischen Bundesverwaltung, umfasst rund 400‘000 mehrsprachige Terminologie-Einträge in den vier Landessprachen der Schweiz (Deutsch, Französisch, Italienisch und Romanisch) sowie Englisch. Obwohl ein gewisses Schwergewicht auf der Terminologie des Bundesrechts liegt, spiegelt sich in den Beständen die Vielfalt der Themen der ganzen Bundesverwaltung. Die Bedeutung liegt sicherlich darin, dass TERMDAT Äquivalente liefert, welche oft die Basis für die mehrsprachige Fachkommunikation in den Landessprachen (und Englisch) sind.

Seit 2013 ist TERMDAT online (www.termdat.ch) und ohne Einschränkungen kostenlos abfragbar – und die Nachfrage hat uns alle völlig überrascht. Von den 2015 getätigten weit über 10 Millionen Suchabfragen stammten rund drei Viertel aus der Schweiz; die Abfragen aus dem Ausland konzentrieren sich auf unsere Nachbarländer, aber grundsätzlich gibt es rund um den Globus Personen, die TERMDAT immer wieder konsultieren.

Aus welchem Grund sind Englisch und andere nicht-schweizerische Sprachen in der Datenbank TERMDAT zu finden?

Englisch ist keine Amtssprache der Schweiz, und dennoch spielt Englisch in unserem Land eine wichtige Rolle. Dies gilt in erster Linie für die Privatwirtschaft, in der die Exportindustrie, der Dienstleistungssektor und der Tourismus einen Schwerpunkt bilden. Im öffentlichen Sektor gibt es zwar keine Vorschrift, wonach die amtlichen Texte auf Englisch zu veröffentlichen seien, aber wichtige Erlasstexte liegen dennoch auf Englisch vor (wobei die englische Version allerdings nicht rechtsverbindlich ist). Die Schweiz hat als europäisches Land enge Verbindungen zur Europäischen Union, daher hält sich die Bundeskanzlei an die Konventionen des “British English”. Äquivalente in anderen Sprachen stammen meist aus multilateralen Projekten, wobei TERMDAT grundsätzlich unbeschränkt viele Sprachen und ohne Einschränkungen bezüglich Sonderzeichen und Schriftsystemen abbilden kann.

Sie verlinken die europäische Terminologiedatenbank IATE auf der Webseite der Sektion Terminologie. Inwiefern spielt IATE für Sie eine Rolle? Arbeiten Sie persönlich damit?

IATE spielt eine wichtige Rolle. Historisch betrachtet begann die systematische Terminologiearbeit der Schweizer Bundesverwaltung in den 1980er Jahren mit Eurodicautom, weshalb der Kontakt lange über den wechselseitigen Datenaustausch lief. Seit einigen Jahren verzichten wir jedoch bewusst auf solche Datentransfers, weil sie angesichts der heutigen Vernetzungsstandards letztlich nur Redundanzen produzieren. Wer also Schweizer Terminologie sucht findet diese grundsätzlich in TERMDAT, für alles andere empfehlen und nutzen auch wir selbst IATE. Ob in Zukunft einmal eine Metasuchmaschine beide Bestände für die Benutzer allenfalls wieder virtuell verbindet, wird sich zeigen; zur Zeit sind aber beispielsweise auch die Vorstellungen bezüglich der Urheberrechte (wo wir eine sehr offene Haltung einnehmen) nicht ganz deckungsgleich.

Wie sehen Sie das Verhältnis von IATE zu TERMDAT und umgekehrt?

Wir pflegen heute nicht mehr gegenseitig importierte Datenbestände, sondern den Kontakt und den Austausch, und das Schwergewicht liegt auf Fragen der Methodologie oder der Arbeitsabläufe. Unsererseits schätzen wir die offene und kollegiale Diskussion, die wir beidseitig haben, und wir treffen uns auch mindestens einmal jährlich im Rahmen der Arbeitsgruppe Terminologie der Konferenz der Übersetzungsdienste europäischer Staaten KÜDES.

Waren Sie schon einmal in Kontakt mit der Terminology Coordination Unit des Europäischen Parlaments? Wenn ja, wo liegen die Schnittpunkte?

Unsere beschränkten Ressourcen lassen Kontakte zu ausländischen und internationalen Terminologie-Institutionen nur in einem gewissen Umfang zu. Bislang haben wir uns dabei vor allem auf die KÜDES, IATE, den Rat für Deutschsprachige Terminologie (RaDT), die Associazione Italiana per la Terminologia (Ass.I.Term) sowie die Terminologiekommissionen Frankreichs konzentriert. Neue Kontakte ergeben sich oft über konkrete Fragestellungen – insofern könnte ich mir durchaus vorstellen, dass wir in Zukunft einmal an die Terminology Coordination Unit des Europäischen Parlaments gelangen könnten.

Read the interview in English here.


Über die Interviewerin
img_20160831_2213102Martina Christen, Studienbesucher bei TermCoord. Geboren in Zürich (Schweiz) in 1991. Nach ihrem Bachelorstudium in Soziologie und Gesellschaftswissenschaften an der Universität Basel wollte sie Arbeitsweltluft im Ausland schnuppern und entschloss sich ein Praktikum auf der Schweizer Botschaft in Luxemburg zu machen. Überzeugt vom luxemburgischen Lebensstil ist sie im Land geblieben und macht jetzt einen Master in „Learning and Communication in Multilingual and Multicultural Contexts“ an der Universität Luxemburg. Ihre Schwerpunkte sind Migrations- und Integrationsthemen, interkulturelle Kommunikation, soziale Ungleichheiten und Mehrsprachigkeit. Als Medienbegeisterte arbeitet sie freiwillig als Facebook Manager für einen Second-Hand-Laden des Roten Kreuzes und führt seit einer Weile mehrere öffentliche Facebook und Instagram Projekte in Luxemburg.